Eine Einrichtung der katholischen Kirche darf ihre eigenen Kirchenmitglieder grundsätzlich nicht aufgrund der Religionszugehörigkeit benachteiligen oder diskriminieren: „Ein der römisch-katholischen Kirche verbundenes Krankenhaus darf seine Beschäftigten in leitender Stellung bei der Anforderung, sich loyal und aufrichtig im Sinne des katholischen Selbstverständnisses zu verhalten, nur dann nach ihrer Religionszugehörigkeit unterschiedlich behandeln, wenn dies im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.“

Durchblick

„Die Beklagte ist Trägerin von Krankenhäusern und institutionell mit der katholischen Kirche verbunden. Der katholische Kläger war bei ihr als Chefarzt beschäftigt. Den Dienstvertrag schlossen die Parteien unter Zugrundelegung der vom Erzbischof von Köln erlassenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 23. September 1993 (GrO 1993). Nach deren Art. 5 Abs. 2 GrO 1993 handelte es sich ua. beim Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe um einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß, der eine Kündigung rechtfertigen konnte. Der Kläger war nach katholischem Ritus verheiratet. Nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau heiratete er im Jahr 2008 ein zweites Mal standesamtlich. Nachdem die Beklagte hiervon Kenntnis erlangt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. September 2009. Hiergegen hat sich der Kläger mit der vorliegenden Kündigungsschutzklage gewandt. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Über ein in diesem Verfahren ergangenes Vorabentscheidungsersuchen des Senats zum Inhalt und zur Auslegung des Unionsrechts hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 11. September 2018 (- C-68/17 -) entschieden.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Kündigung ist nicht durch Gründe im Verhalten oder in der Person des Klägers sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Mit seiner Wiederverheiratung verletzte dieser weder eine wirksam vereinbarte Loyalitätspflicht noch eine berechtigte Loyalitätserwartung der Beklagten. Die Vereinbarung im Dienstvertrag der Parteien, mit der die GrO 1993 in Bezug genommen wurde, ist gem. § 7 Abs. 2 AGG unwirksam, soweit dadurch das Leben in kirchlich ungültiger Ehe als schwerwiegender Loyalitätsverstoß bestimmt ist. Diese Regelung benachteiligte den Kläger gegenüber nicht der katholischen Kirche angehörenden leitenden Mitarbeitern wegen seiner Religionszugehörigkeit und damit wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ohne dass dies nach § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt ist. Dies folgt aus einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG, jedenfalls aber aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts. Die Loyalitätspflicht, keine nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der katholischen Kirche ungültige Ehe zu schließen, war im Hinblick auf die Art der Tätigkeiten des Klägers und die Umstände ihrer Ausübung keine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung.

Nationales Verfassungsrecht (vgl. dazu BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 -) steht dem nicht entgegen. Das Unionsrecht darf die Voraussetzungen, unter denen die der Kirche zugeordneten Einrichtungen ihre Beschäftigten wegen der Religion ungleich behandeln dürfen, näher ausgestalten. Der Europäische Gerichtshof hat mit seiner Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG seine Kompetenz nicht überschritten. Es handelt sich nicht um einen „Ultra-Vires-Akt“ oder einen solchen, durch den die Verfassungsidentität des Grundgesetzes berührt wird.“

Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts Nr. 10/19, Urteil vom 20. Februar 2019 – 2 AZR 746/14; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 1. Juli 2010 – 5 Sa 996/09.

Anmerkung: Die ausführliche Entscheidungsbegründung ist bereits veröffentlicht.
Link zum Bundesarbeitsgericht: http://www.bundesarbeitsgericht.de

Weitblick

Der Fall ging innerhalb von rund 10 Jahren durch sämtliche Instanzen und beschäftigte 5 Gerichte: Arbeitsgericht, Landesarbeitsgericht, Bundesarbeitsgericht, Bundesverfassungsgericht, Europäischer Gerichtshof. Jetzt ist das vorerst letzte Wort gesprochen. Man darf annehmen, dass dieser Fall sowohl den Arbeitgeber als auch die katholische Kirche Einiges gekostet hat: In finanzieller Hinsicht ist davon auszugehen, dass der Arbeitgeber das Chefarztgehalt von rund 10 Jahren wegen Annahmeverzugs nachzahlen oder zumindest ausgleichen muss. Die katholische Kirche hat an Gestaltungshoheit und an Gestaltungsreichweite verloren, ihre (zumindest die verkündungsfernen) Einrichtungen müssen sich jetzt einem strengeren Prüfungsmaßstab unterwerfen und unterliegen – so zumindest die Ansicht des EuGH und des BAG – aufgrund der Anwendbarkeit des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz – bei Ungleichbehandlungen einem größeren Rechtfertigungsdruck. Das Bundesarbeitsgericht hat es nicht bei der zurückhaltenden Bundesverfassungsgerichtsentscheidung belassen, sondern hat danach den EuGH angerufen. Dieser sah die Sache sodann im Ergebnis anders als das BVerfG. Das BAG schloss sich der Wertung des EuGH an. Das kann man so verstehen, dass in diesem Fall also auch das BVerfG ein Nachsehen gehabt hat.