Zeitpunkt Kündigung Massenentlassung

Eine Kündigung darf nicht schneller sein als eine Massenentlassungsanzeige. Geht eine Kündigung dem Arbeitnehmer zu, bevor die entsprechende Anzeige des Arbeitgebers bei der Agentur für Arbeit eingeht, ist sie unwirksam. Sofort nach Anzeigeneingang darf die Kündigung dann aber zugehen.

Der Zeitpunkt der Kündigungsunterzeichnung ist nicht entscheidend für die Erfüllung der Pflicht zur Massenentlassungsanzeige.

Durchblick

Sobald ein Arbeitgeber plant, in einem Betrieb mit mehr als 20 Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen mehr als 5 Arbeitsverhältnisse zu kündigen, muss er nach § 17 KSchG vor Kündigungszugang an den Betroffenen die Agentur für Arbeit davon in Kenntnis setzen. Tut er dies nicht, ist die gleichwohl zugegangene Kündigung unwirksam. Sobald die sogenannte Massenentlassungsanzeige allerdings bei der Agentur eingeht, darf sofort im Anschluss dem Arbeitnehmer eine Kündigung zugehen – zumindest die Anzeigenpflicht der Massenentlassung ist dann erfüllt.

„Mit Beschluss vom 1. Juni 2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Die von ihm verfasste Massenentlassungsanzeige ging am 26. Juni 2017 zusammen mit einem beigefügten Interessenausgleich bei der Agentur für Arbeit ein. Mit Schreiben vom 26. Juni 2017 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers ebenso wie die Arbeitsverhältnisse der anderen 44 zu diesem Zeitpunkt noch beschäftigten Arbeitnehmer ordentlich betriebsbedingt zum 30. September 2017. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 27. Juni 2017 zu. Dieser macht mit seiner Kündigungsschutzklage ua. geltend, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) habe der Arbeitgeber auch seiner Anzeigepflicht vor einer Entscheidung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses nachzukommen. Darum dürfe die Unterschrift unter das Kündigungsschreiben, mit der die Kündigungserklärung konstitutiv geschaffen werde, erst erfolgen, nachdem die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen sei. Das Landesarbeitsgericht ist dem gefolgt und hat der Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts stattgegeben. Die Anzeige müsse die Agentur für Arbeit erreichen, bevor der Arbeitgeber die Kündigungsentscheidung treffe, was sich in der Unterzeichnung des Kündigungsschreibens manifestiere.

Die Revision des Beklagten hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg und führte zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Das selbstständig neben dem nach § 17 Abs. 2 KSchG durchzuführenden Konsultationsverfahren stehende, in § 17 Abs. 1, Abs. 3 Sätze 2 bis 5 KSchG geregelte Anzeigeverfahren dient beschäftigungspolitischen Zwecken. Die Agentur für Arbeit soll rechtzeitig über eine bevorstehende Massenentlassung unterrichtet werden, um sich auf die Entlassung einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern vorbereiten und ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen zu können. Das setzt voraus, dass bereits feststeht, wie viele und welche Arbeitnehmer konkret entlassen werden sollen. Auf den Willensentschluss des Arbeitgebers zur Kündigung kann, soll und will die Agentur für Arbeit – anders als der Betriebsrat im Rahmen des Konsultationsverfahrens – keinen Einfluss nehmen. Die Kündigung darf allerdings erst dann erfolgen, dh. dem Arbeitnehmer zugehen (§ 130 Abs. 1 BGB), wenn die Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingegangen ist. Dies ist durch die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 und Art. 4 der Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie) geklärt, so dass der Senat von einer Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV abgesehen hat.

Der Senat konnte anhand der bisher getroffenen Feststellungen die Wirksamkeit der Kündigung nicht abschließend beurteilen. Das Landesarbeitsgericht wird aufzuklären haben, ob die Massenentlassungsanzeige inhaltlich den Vorgaben des § 17 Abs. 3 KSchG genügte und ob das Anhörungsverfahren gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ordnungsgemäß eingeleitet wurde.“

Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichtes Nr. 25/19, Urteil vom 13. Juni 2019 – 6 AZR 459/18; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21. August 2018 – 12 Sa 17/18 -. 

Anmerkung: Die ausführliche Entscheidungsbegründung ist bereits veröffentlicht.
Link zum Bundesarbeitsgericht: http://www.bundesarbeitsgericht.de