Überblick

Das Bundesverfassungsgericht stärkt die Gewerkschaften: Das Urteil bestätigt den weiten gewerkschaftlichen Handlungsspielraum und ergänzt damit die Urteile des Bundesarbeitsgerichtes aus den Jahren 2007 und 2009. Es obliegt der Gewerkschaft, die Wahl eines geeigneten Arbeitskampfmittels zu treffen, mit dessen Hilfe sie ihren gewerkschaftlichen Zweck erreichen möchte. Selbst eine auf Tarifverhandlungen bezogene Flashmob-Aktion ist grundsätzlich auch dann zulässig, wenn sich Dritte an dieser Aktion beteiligen, solange die Aktion ein rechtmäßiges Arbeitskampfziel stützt.

Durchblick

„Die im Ausgangsverfahren beklagte Gewerkschaft veröffentlichte während eines Streiks im Einzelhandel im Jahr 2007 ein virtuelles Flugblatt mit der Frage „Hast Du Lust, Dich an Flashmob-Aktionen zu beteiligen?“, bat Interessierte um die Handy-Nummer, um diese per SMS zu informieren, wenn man gemeinsam „in einer bestreikten Filiale, in der Streikbrecher arbeiten, gezielt einkaufen gehen“ wolle, „z.B. so: Viele Menschen kaufen zur gleichen Zeit einen Pfennig-Artikel und blockieren damit für längere Zeit den Kassenbereich. Viele Menschen packen zur gleichen Zeit ihre Einkaufswagen voll (bitte keine Frischware!!!) und lassen sie dann stehen.“

Im Dezember 2007 führte die Gewerkschaft in einer Filiale eines Einzelhandelsunternehmens eine solche Flashmob-Aktion durch. Es beteiligten sich etwa 40 – 50 Personen; die Aktion dauerte zwischen 45 und 60 Minuten. Der Beschwerdeführer ist ein Arbeitgeberverband für den Einzelhandel. Seine Klage mit dem Ziel, der Gewerkschaft den Aufruf zu weiteren derartigen Flashmobs zu untersagen, blieb vor den Arbeitsgerichten in allen Instanzen erfolglos. Dagegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde…

Die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen verletzen nicht die in Artikel 9 III GG geschützte Koalitionsfreiheit des Beschwerdeführers.

  1. Der Schutz des Art. 9 III GG ist nicht auf Streikt und Aussperrung als die traditionell anerkannten Formen des Arbeitskampfes beschränkt. Die Wahl der Mittel, die die Koalitionen zur Erreichung ihrer koalitionsspezifischen Zwecke für geeignet halten, überlässt Art. 9 III GG grundsätzlich ihnen selbst. Das Grundgesetz schreibt nicht vor, wie die gegensätzlichen Grundrechtspositionen im Einzelnen abzugrenzen sind; es verlangt keine Optimierung der Kampfbedingungen. Umstrittene Arbeitskampfmaßnahmen werden unter dem Gesichtspunkt der Proportionalität überprüft; durch den Einsatz von Arbeitskampfmaßnahmen soll kein einseitiges Übergewicht bei Tarifverhandlungen entstehen. Die Orientierung des Bundesarbeitsgerichtes am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist insofern nicht zu beanstanden.
  2. Danach lässt sich eine Verletzung des Beschwerdeführers in seiner Koalitionsfreiheit durch die angegriffenen Urteile nicht feststellen. Das Bundesarbeitsgericht berücksichtigt insbesondere, dass sich durch die Teilnahme Dritter an Flashmob-Aktionen die Gefahr erhöhen kann, dass diese außer Kontrolle geraten, weil Dritte weniger beeinflussbar sind. Es setzt der – im Ausgangsverfahren auch tatsächlich eingeschränkten – Teilnahme Dritter daher auch rechtliche Grenzen. So muss der Flashmob als gewerkschaftlich getragene Arbeitskampfmaßnahme erkennbar sein, was auch für Schadensersatzforderungen der Arbeitgeber bei rechtswidrigen Aktionen von Bedeutung ist. Das Bundesarbeitsgericht hat sich auch mit der Frage nach wirksamen Gegenmaßnahmen der Arbeitgeberseite gegen einen streikbegleitenden Flashmob intensiv auseinandergesetzt. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes, eine eigene Einschätzung zur praktischen Wirksamkeit von Reaktionsmöglichkeiten der Arbeitgeberseite an die Stelle derjenigen der Fachgerichte zu setzen, solange diese nicht einer deutlichen Fehleinschätzung folgen. Eine solche ist hier nicht erkennbar. Das Bundesarbeitsgericht berücksichtigt insbesondere auch die Interessen der Arbeitgeberseite. Gegen die fachgerichtliche Einschätzung, das Hausrecht und die vorübergehende Betriebsstilllegung seien als wirksame Verteidigungsmittel anzusehen, ist verfassungsrechtlich daher nichts zu erinnern.“

Auszüge aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichtes vom 09. April 2014, Beschluss vom 26. März 2014 – 1 BvR 3185/09, Urteile des Bundesarbeitsgerichtes vom 19. Juni 2007 und vom 22. September 2009 –

Anmerkung: Die ausführliche Entscheidungsbegründung ist veröffentlicht.
Link zum Bundesverfassungsgericht: www.bundesverfassungsgericht.de