Überblick 

Ein Indiz für eine rechtsmissbräuchliche „Kettenbefristung“ eines Arbeitsvertrages liegt dann vor, wenn in einem Zeitraum von mehr als 11 Jahren insgesamt 13 befristete Arbeitsverträge mit einer Arbeitnehmerin geschlossen werden, welche fast durchgehend mit einem Vertretungsbedarf begründet wurden.

Durchblick 

„Die Befristung eines Arbeitsvertrages kann trotz Vorliegens eines Sachgrunds aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise rechtsmissbräuchlich und daher unwirksam sein. Für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs können insbesondere eine sehr lange Gesamtdauer oder eine außergewöhnlich hohe Anzahl von aufeinander folgenden befristeten Arbeitsverträgen mit dem selben Arbeitgeber sprechen.“

Nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz kann ein Arbeitsvertrag befristet werden, wenn hierfür eine Rechtfertigung durch einen sachlichen Grund vorliegt. Einer der sachlichen Rechtfertigungsgründe ist die Beschäftigung zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers.

„Dem Sachgrund der Vertretung steht nach der Rechtsprechung des Siebten Senats auch eine größere Anzahl der mit einem Arbeitnehmer geschlossenen befristeten Verträge nicht entgegen. Entscheidend ist allein, ob bei der letzten Befristungsabrede ein Vertretungsfall vorlag. Ein bei dem Arbeitgeber vorhandener ständiger Vertretungsbedarf schließt den Sachgrund der Vertretung nicht aus. Der Siebte Senat hat allerdings Bedenken, ob er aus Gründen des Unionsrechts gehindert ist, an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt festzuhalten. Er bat deshalb mit Beschluss vom 17. November 2010 – 7 AZR 443/09 (A) – den EuGH um Beantwortung der Frage, ob es mit § 5 Nr. 1 der EGB-UNICECEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juli 1999 (Rahmenvereinbarung) vereinbar ist, die wiederholte Befristung eines Arbeitsvertrages auch dann auf den im nationalen Recht vorgesehenen Sachgrund der Vertretung zu stützen, wenn bei dem Arbeitgeber ein ständiger Vertretungsbedarf besteht, der ebenso durch unbefristete Einstellung befriedigt werden könnte. Der EuGH antwortete mit Urteil vom 26.01.2012 – C-586/10 – [Kücük], der Umstand, dass ein Arbeitgeber wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückgreife, stehe weder der Annahme eines sachlichen Grundes im Sinne der Rahmenvereinbarung entgegen, noch folge daraus das Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne dieser Bestimmung. Die nationalen staatlichen Stellen müssten aber auch bei Vorliegen eines sachlichen Grundes alle mit der Verlängerung der befristeten Verträge verbundenen Umstände berücksichtigen, da sie einen Hinweis auf Missbrauch geben können, den § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung verhindern soll. Bei dieser Prüfung könnten sich die Zahl und Dauer der mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden Verträge als relevant erweisen.

Hiervon ausgehend entschied der Siebte Senat, dass das Vorliegen eine ständigen Vertretungsbedarfs der Annahme des Sachgrunds der Vertretung nicht entgegensteht, sondern an den Grundsätzen der Sachgrundprüfung uneingeschränkt festgehalten werden kann. Allerdings kann unter besonderen Umständen die Befristung eines Arbeitsvertrags trotz Vorliegens eines sachlichen Grundes wegen rechtsmissbräuchlicher Ausnutzung der an sich eröffneten rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit unwirksam sein. Das entspricht den sich aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergebenden Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs. An einen solchen nur ausnahmsweise anzunehmenden Rechtsmissbrauch sind hohe Anforderungen zu stellen. Es sind dabei alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere aber Gesamtcharakter und Anzahl der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen, aufeinander folgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen.

Der Siebte Senat hob daher ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln auf, dass die Befristungskontrollklage einer beim Land Nordrhein-Westfalen beschäftigten Justizangestellten abgewiesen hatte. Die Klägerin war beim beklagten Land aufgrund von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen von Juli 1996 bis Dezember 2007 im Geschäftsstellenbereich des Amtsgerichts Köln tätig. Die befristete Beschäftigung diente fast durchgehend der Vertretung von Justizangestellten, die sich in Elternzeit oder Sonderurlaub befanden. Mit ihrer Klage griff die Klägerin die Befristung des letzten, im Dezember 2006 geschlossenen Vertrags an. Für diese Befristung lag zwar der Sachgrund der Vertretung vor. Die Gesamtdauer von mehr als 11 Jahren und die Anzahl von 13 Befristungen sprechen aber dafür, dass das beklagte Land die an sich eröffnete Möglichkeit der Vertretungsbefristung rechtsmissbräuchlich ausgenutzt hat. Der Siebte Senat konnte der Klage dennoch nicht stattgeben. Der Rechtsstreit war vielmehr an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, um dem beklagten Land Gelegenheit zu geben, noch besondere Umstände vorzutragen, die der Annahme des an sich indizierten Rechtsmissbrauches entgegenstehen.

Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts Nr. 54/12, Urteil vom 18. Juli.2012 – 7 AZR 443/09 -; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 15. Mai 2009 – 4 Sa 877/08;
Anmerkung: Die ausführliche Entscheidungsbegründung ist bereits veröffentlicht.
Link zum Bundesarbeitsgericht: http://www.bundesarbeitsgericht.de

Dagegen wies der Siebte Senat – wie schon die Vorinstanzen – die Befristungskontrollklage einer anderen Klägerin ab. Diese war vom 1. März 2002 bis zum 30. November 2009 aufgrund von 4 jeweils befristeten Arbeitsverträgen bei einem Einzelhandelsunternehmen beschäftigt. Die letzte im Januar 2008 vereinbarte Befristung erfolgte zur Vertretung eines in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmers. Die Befristung war nach § 14 I 2 Nr. TzBfG gerechtfertigt. Angesichts der Gesamtdauer von 7 Jahren und 9 Monaten sowie der Anzahl von 4 Befristungen gab es keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Juli 2012 – 7 AZR 783/10 -; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09. August 2010 – 5 Sa 196/10 –“

Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts Nr. 54/12
Anmerkung: Die ausführliche Entscheidungsbegründung ist bereits veröffentlicht.
Link zum Bundesarbeitsgericht: http://www.bundesarbeitsgericht.de